„Verändern muss sich die Veränderungsbereitschaft“

Die Immobilienbranche erlebt die digitale Transformation. Doch muss man gleich alles über den Haufen werfen? Wie lässt sich der Wandel tatsächlich gestalten und umsetzen? Welche Argumente zählen wirklich?

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Ein Gespräch mit Roman Riebow, Leiter IT bei der Gewobag Wohnungsbau-Aktiengesellschaft Berlin, der seit 2015 maßgebende Digitalisierungsprojekte im Unternehmen steuert, und Jörn Beckmann, Gründer und geschäftsführender Gesellschafter der Datatrain GmbH, der die Gewobag und viele weitere Unternehmen der Branche seit 20 Jahren als Digitalisierungspartner begleitet.

Wie hat sich die Branche in den zurückliegenden Jahren verändert?

Riebow: IT ist heute weniger geheimnisvolle Magie oder undurchschaubares Expertengebiet, sondern Basis-Instrument im Tagesgeschäft. Das ist sicher auch ein Resultat des alltäglichen Umgangs mit smarten Produkten im Privatbereich. Kunde und Nutzer stehen stärker im Fokus und erwarten ihrerseits einfache Nutzbarkeit. Relevant ist, was für den Kunden und uns Mehrwert erzeugt, erreichbar und erschwinglich ist. So lassen sich Produkte und Services erzeugen, die Mehrwert für alle schaffen und sich gut bedienen lassen.

Beckmann: Im Kern werden noch immer Immobilien bewirtschaftet. Doch während es in den letzten 20 Jahren eher um Effizienzsteigerung ging, rückt in jüngerer Vergangenheit die Wertsteigerung in den Vordergrund – also Zusatzleistungen wie Wohneigentumsverwaltung, Messdienstleistungen und Services im Wohnumfeld.

Wie beziehen Sie den Kunden ein?

Riebow: Wir versuchen, die Prozesse auch aus der Nutzerperspektive zu entwickeln. Daneben haben wir Interviews geführt: Es gab Marktgespräche, Kundengespräche, Marktanalysen, für die wir viel Aufwand betrieben haben. Benutzerzentrierung und validierung werden etablierte Instrumente.

Beckmann: Das betrifft neben den Mietern auch die Mitarbeiter oder Partner von Unternehmen. Bei Datatrain haben wir daher sehr zeitig für alle Beteiligten Lösungen aus der Nutzerperspektive entwickelt. Dafür haben wir uns eine tiefgehende Kenntnis wohnungswirtschaftlicher Prozesse und adäquater Technologien erarbeitet, insbesondere zu ERP-, Web- und im wachsenden Maße Cloud-Technologien.

Riebow: Nutzerzentrierte Entwicklungen funktionieren besser, weil Kunden, Mieter, Mitarbeiter sie gern nutzen. Am Ende steht ganz klar das egoistische Eigeninteresse des Unternehmens. In der Vergangenheit haben wir zuweilen etwas entwickelt, von dem wir annahmen, dass es für uns funktioniert, und waren dann erstaunt, wo Probleme auftraten.

Digitalisierung ist in aller Munde. Was bedeutet Digitalisierung für SIE?

Beckmann: Digitalisierung bedeutet, menschliche und technische Akteure durch IT zu vernetzen und planbare Prozesse umfassend zu automatisieren. Das heißt nicht, dass dort, wo sich etwas automatisieren lässt, ein Mitarbeiter wegfällt. Tatsächlich schafft es Freiräume für kreative Arbeit, also das, worum es im Unternehmen von morgen vermutlich mehr geht als um die reine Immobilienverwaltung.

Riebow: Die Digitalisierung erschließt neue Möglichkeiten und verringert Benutzer- und Eintrittsbarrieren. Für mich bedeutet sie zunächst, aus der Vielzahl von Möglichkeiten auszuwählen und dabei zwischen Innovation und teils übersteigerter oder verzerrter Erwartung zu unterscheiden.

Worin sehen Sie Chance und Potenzial?

Riebow: Mit Partnern wie der Datatrain haben wir Berater an der Seite, die auch Entwickler sind und innovationsgetrieben Neues ausprobieren, mit dem Ziel, es hinterher auch selbst zu implementieren. Viele Berater bringen diese Entwicklungskompetenz nicht mit. Unter den Beratungsservices zu Buzzwords der Digitalisierung findet sich viel Schaum. Einiges ist durchaus interessant, nur nicht für die Wohnungswirtschaft. Also unterscheiden wir zwischen: Was ist technisch möglich, welche Innovationen gibt es? Und: Was ist für uns jetzt relevant, was in fünf Jahren? Die zentrale Frage lautet: Ist es relevant fürs Kerngeschäft oder dessen Erweiterung?

Beckmann: Rund um das Thema Mieter und Mehrwertdienste gibt es interessante Impulse aus dem Markt, etwa zu Smart-Home-Funktionalitäten. Das ist nicht unser Kerngeschäft, aber für Wohnungsunternehmen ein wichtiges Feld. In so einem Fall zeigen wir gern auf andere Marktteilnehmer, die das besser können als wir, und sorgen für vernünftige Schnittstellen, über die derartige Funktionalitäten eingebunden werden können. Es kommt darauf an, partnerfähig zu sein.

Gibt es Projekte, in denen Sie eine Partneranbindung schon realisiert haben?

Beckmann: Ja. Das Berliner Wohnungstauschportal ermöglicht auf diese Art Mietern der Gewobag und der übrigen Landeseigenen den Wohnungstausch. Es umfasst von außen erreichbare Dienste wie die Mieter-Authentifizierung. Das lässt sich auf andere Prozesse übertragen. Meldestellen fordern etwa für die Anmeldung eine Bestätigung des Wohnungsgebers. Diese könnten sich Mieter über eine Mieter-App schnell beschaffen. Da gibt es eine Fülle denkbarer Szenarien.

Riebow: Auf Basis von webbasierten Schnittstellen sind wir in der Lage, unser ERP-System an andere ERP-Systeme anzubinden oder gegenüber Partnern zu öffnen. Dies kommt in nahezu allen Projekten mit externen Partnern zum Einsatz, beispielsweise im Kerngeschäft für Sanierung und Reparatur oder bei potenziellen Partnern für Zusatzservices wie Mobilitätsanbietern. Diese verfügen über Fahrzeuge, wir über Ladestationen und Parkplätze. Damit können wir unsere Angebote erweitern.

Mit welchen Argumenten überzeugen Sie im Zuge Ihrer Arbeit Leute, die sagen: Das ist seit Jahren gut gelaufen, warum sollten wir daran etwas ändern?

Riebow: Unendliche Geduld ist nicht meine Stärke. Ich kann vor allem Leute mitnehmen, die offen, lern- und änderungsbereit sind. Blockierern versuche ich zu zeigen, dass es eben doch und besser geht.

Beckmann: Auch der Bewahrer ist natürlich eine wichtige Kraft. Das, was wir an Veränderungen bewegen wollen, ist nicht per se gut. Zunächst hat es sich zu bewähren und tritt in einen Dialog ein, um für sich selbst zu werben. Das ist ein wichtiger Prozess. Das Neue ist nicht automatisch das Bessere.

Riebow: Man braucht eine gute Balance zwischen den Innovatoren, den Mitmachern und den Bewahrern. Aber natürlich ist gerade in der IT die Cyber-Security, die Datensicherheit, ein ganz wichtiger Aspekt. Ausfallsicherheit und Vermeidung von Lock ins sind konservative Perspektiven, sind echte und wichtige Bewahrer-Rollen. Kürzlich haben wir ein Mitarbeiter-Entwicklungsprogramm gestartet, bei dem wir neue Ansätze denken und neue Methoden anwenden. Da lässt sich erkennen, wer innovationsfreudig, wer Bewahrer, aber offen und wer blockiert ist – die Gründe sind unterschiedlich und haben oft in der Unternehmensstruktur ihren Ursprung. Solche internen Programme können viel Änderungskraft entfalten.

Was muss sich auf jeden Fall ändern?

Riebow: Verändern muss sich die Veränderungs- und Lernbereitschaft. Dazu gehören Offenheit für innovative Partner, interdisziplinäre Kooperationen und neue Modelle der Zusammenarbeit. Konkret meine ich fachübergreifende, flache Teamstrukturen, gemeinsame Sprache und Instrumente. Mit der Verwendung der Prozessnotation BPMN 2.0 haben wir bereits eine gute Basis erzeugt. Eine bessere Verzahnung der konzernweiten Projektsteuerung mit unserer Konzernstrategie, Förderung von Eigeninitiative und mehr Transparenz sind genauso wichtig wie die Akzeptanz, Fehler zu machen oder zu scheitern, nur wenn, dann möglichst schnell. Iteratives Vorgehen ermöglicht, auf Basis der neuen Erkenntnisse das nächste Ziel genauer anzusteuern.

Beckmann: Unsere Lösungen sind Ergebnisse von Dialogen. Das verändert uns selbst. Ein wesentlicher Input ist aus der Gewobag gekommen. Wir haben zum Beispiel gemeinsam Konzepte zur Mieterkommunikation diskutiert, was zu einer Schärfung führte, die unsere Mieter-Apps beeinflussen wird. Auch wenn erst circa fünf Prozent der Mieterkommunikation über Apps laufen, werden es in fünf Jahren eventuell schon 60, 70 Prozent sein. Auch die Prozessnotation haben wir als Impuls aufgenommen. Sie ersetzt eine Menge Text.

So etwas wie das, was ich mache?

Riebow: Dann bestünde das Interview nur noch aus: Schalte Aufnahmegerät ein, stelle Frage A, stelle Frage B, erzeuge Zusammenfassung und so weiter. Das gibt weder den kreativen Prozess noch den Inhalt wieder. Mit der Prozesssprache lässt sich aber zum Beispiel ein 70-seitiges Fachkonzept in ein Prozessmodell übersetzen, das Abläufe, Aktivitäten, Ergebnisse und Fristen anzeigt. Das liefert schnell ein Globalverständnis. Text braucht man natürlich immer noch, doch sind es dann nicht mehr 70 Seiten, sondern mit guten Mock-ups, also Skizzen, eher 7. Oder 15.